Klaus Walter: Pop und Revolution? Immer diese Widersprüche
Pop, das war immer Grenzüberschreitung, Befreiung, Ekstase, Regelverletzung, Tabubruch, im Rock´n Roll wie im (Free) Jazz, beim Beat, den Hippies, Punk, Techno… Das hat sich gedreht: Enthemmter Hedonismus, Exzess und Transgression sind nach rechts gewandert. Auf der anderen Seite propagieren tendenziell eher linke Popstars von gestern Hegelsche Demut: Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit! Die Annahme, dass Pop per se links sei, war ja schon immer falsch, hält sich aber hartnäckig und wird gerade ad absurdum geführt. Kooptierbarkeit ist das Wort: Macht kaputt, was Euch kaputt macht? Keine Macht für niemand? Die alten Anarcho-Parolen taugen heute auch für wackere Wutbürger im Widerstand gegen die Impfdiktatur. Wie also umgehen mit dem Problem der Übernahme von der Gegenseite, dem Applaus von der falschen Seite? Darüber wird in der Linken seit Jahrhunderten gestritten, mit immer wieder ähnlichen Frontstellungen, oft genug unterkomplexen Frontstellungen, zuletzt bei der irrlichternden innerlinken Debatte Identitätspolitik versus Klassenpolitik.
Dennoch: Popkultur trägt und enthält immer wieder den Gedanken von Revolution, von Protest, von Veränderung. Bleibt der Begriff von Revolution dabei gleich? Wo und wie kann Popkultur progressiv sein? Was ist der Preis, den die Unvereinnehmbarkeit kostet? Die Künstler*innen erreichen nur noch die Eingeweihten, die Preaching to the converted-Sackgasse. Gleichzeitig entstehen immer wieder Bewegungen, die im Wechselspiel mit Popkultur, ihre grundlegende Kritik verbreiten und gegen die Verhältnisse aufbegehren. „I can´t breathe“, das waren die letzten Worte der beiden Afroamerikaner Eric Garner und George Floyd, bevor sie von (weißen) Polizisten am Weiteratmen gehindert wurden. „I can´t breathe“ wurde zum Signatursatz der Black Lives Matter-Bewegung. Zwei Jahre nach dem Mord an Floyd entführen Corona-Demonstrant:innen das Motiv. Ihre Plakate zeigen ein Kind mit Atemschutzmaske: „I can´t breathe.“ Immer diese Widersprüche.